Logo Kanton Bern / Canton de BerneBau- und Verkehrsdirektion

TBAupdate - Dezember 2023

  • Newsletter vom Dezember 2023

Dekarbonisierung im Tiefbau: Realität oder Utopie?

Bild: Alexander Egger, Bern

Bau und Unterhalt von Strasseninfrastrukturen verursachen weltweit erhebliche CO2-Emissionen und tragen so zur globalen Erwärmung bei. Dekarbonisierung, die Umstellung in Richtung einer kohlenstoffärmeren Wirtschaftsweise, ist deshalb auch in der Baubranche angesagt. Was kann das Tiefbauamt des Kantons Bern dazu beitragen? Eine Bestandesaufnahme.

Die weitaus grössten CO2-Emissionen im Tätigkeitsbereich des Tiefbauamts verursachen die Verwendung von Beton und Asphalt. Die CO2-Emissionen entstehen hauptsächlich bei der Produktion dieser Materialien resp. der Zuschlagstoffe. Es handelt sich um jene Baustoffe, die für den Bau von Strassen, Stützmauern, Tunnels, Brücken, Dämmen verwendet werden. Könnte ein Teil dieser Baustoffe durch nachhaltigere Materialien wie Holz ersetzt werden? In einigen Bereichen wie z. B. im Wasserbau ist das möglich. Für Uferverbauungen kommen immer mehr Holzstrukturen zur Anwendung (vgl. z. B. Renaturierter Aareraum Löchligut-Worblaufen).

Renaturierte Aare im Abschnitt Löchligut-Worblaufen: Bei Uferverbauungen kommen immer häufiger Holzstrukturen zur Anwendung.

Im Strassenbau präsentiert sich die Situation schwieriger. Denn bei Strasseninfrastrukturen sind die Anforderungen an Tragfähigkeit und Beständigkeit hoch. Insbesondere bei den Brücken auf Kantonsstrassen gibt es nach wie vor kaum Alternativen zu Stahlbeton, weil diese schweren Verkehrslasten genügen und eine hohe Beständigkeit gegen Tausalzeinflüsse haben müssen. Gleiches gilt für viele Stützmauern. Gute Möglichkeiten zum Einsatz von Holz bestehen bei Velo- und Fussgängerbrücken. Hier will das TBA das Potenzial von Holz in den nächsten Jahren auch vermehrt nutzen. Beton und Asphalt bleiben jedoch im Infrastrukturbau unverzichtbar.

Eine wichtige Massnahme zum nachhaltigeren Bauen ist die Verwendung von Recyclingbaustoffen. Dies schont nicht nur die primären mineralischen Baustoffe wie Kies, auch kann damit der Anteil von neuem Bitumen, ein wichtiger Bestandteil von Strassenbelägen, verringert werden. Damit werden in der Summe auch die CO2-Emissionen reduziert. Das TBA erlaubt seit vielen Jahren die Verwendung von Recyclinganteilen in Asphaltbelägen, die teils über die Normen hinausgehen – mit guten Erfahrungen. Auch für die Fundationsschichten der Kantonsstrassen setzt das TBA wo immer möglich Recyclingbaustoffe ein. Weiter wird bei Strassenbauprojekten, bei denen grosse Aushubmengen entstehen, mit nachhaltigen Materialbewirtschaftungskonzepten dafür gesorgt, dass der Aushub möglichst vor Ort wiederverwendet wird. Damit werden lange Transportdistanzen vermieden, was ebenfalls die CO2-Emissionen reduziert. Ein Beispiel dazu ist der Bau der Umfahrung Wilderswil (siehe unten).

Umfahrungsstrasse Wilderswil: Im Strassenbau werden grosse Mengen von Asphalt, Beton und Armierungseisen verwendet. (Bild: vistadoc)

Es bestehen also durchaus Möglichkeiten, im Strassenbau die CO2-Emissionen zu verringern. Eine Schlüsselrolle spielt dabei auch die Beton- und Asphaltindustrie selber, indem sie Produktionstechniken fördert, welche den CO2-Ausstoss verringern. Weltweit ist hier in Richtung «grüner» Baustoffe einiges im Gang, denn der Branche ist klar, dass sie sich bewegen muss. Klimagesetze verstärken den Druck und werden zu verschärften Normen führen. Das TBA beobachtet diese Entwicklungen intensiv und will auch stets Hand bieten zu Pilotprojekten.

Trotzdem muss die Frage gestellt werden: Kann im Tiefbau wirklich die CO2-Neutralität erreicht werden oder sind zur Erreichung der Klimaziele längerfristig auch andere Massnahmen wie z. B. der Kauf von Zertifikaten nötig? Die Frage lässt sich heute nicht abschliessend beantworten.

Beton ist der Baustoff, der bei der Produktion aktuell die grössten CO₂-Emissionen im Tiefbau verursacht. (Bild: Alexander Egger, Bern)

Wo kann das Tiefbauamt sonst noch CO2 einsparen?

Im Vergleich zu den CO2-Emissionen, welche die Herstellung von Beton und Asphalt verursachen, ist der übrige CO2-Ausstoss aus den Tätigkeiten des Tiefbauamts vergleichsweise gering. Was aber nicht heisst, dass das Amt einfach die Hände in den Schoss legt. Im Gegenteil.

Fahrzeugpark
Die Elektrifizierung des Fahrzeugparks im Tiefbauamt ist bei den Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen (Personenwagen und Lieferwagen u. ä.) bereits weit fortgeschritten. Bei den grösseren Fahrzeugen wie Lastwagen und Kehrmaschinen im Strassenunterhalt gibt es erst wenige Anbieter, welche ausgereifte Systeme anbieten. Meist sind die Reichweiten solcher Fahrzeuge noch zu gering, um im weit verzweigten Kantonsstrassennetz einen effizienten Einsatz zu gewährleisten. E-Lastwagen sind zudem deutlich teurer als konventionelle Fahrzeuge. Auch hier geht die Entwicklung jedoch rasant voran. Das TBA arbeitet hier eng mit Fahrzeuglieferanten zusammen, um die Anforderungen an dekarbonisierte Fahrzeuge zu definieren.

Ladeinfrastruktur
Klar, dass der vermehrte Einsatz von E-Fahrzeugen im Strassenunterhalt auch den Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur an den Betriebsstandorten voraussetzt. Der Kanton treibt den Aufbau eines Ladenetzes an den Standorten der kantonalen Verwaltung stark voran und hat kürzlich eine Ausschreibung für die flächendeckende Beschaffung von Ladestationen lanciert. Mit dem vermehrten Einsatz von E-Fahrzeugen im Strassenunterhalt müssen auch die internen Arbeitsprozesse neu überdacht werden, denn der Einsatz von E-Fahrzeugen setzt Ladepausen voraus, welche heute nicht nötig sind. Anders als im Stadtverkehr verfügt der Kanton über ein verästeltes, sehr langes Strassennetz, das entsprechender Reichweiten bedarf.

Wasserstoff als Alternative?
Als valable Alternative ist bei Grossfahrzeugen auch die Wasserstofftechnologie ein Thema. Fahrzeuge mit Wasserstoff können einfach und schnell betankt werden, sie haben eine grössere Reichweite und verfügen über gute Leistungswerte. Bruno Kropf, Leiter Betrieb Nationalstrasse (Gebietseinheit 1), bezeichnet diese Antriebsvariante sogar als ideale Ergänzung des Fahrzeugparks, «weil wir in der Region Bern über zwei Bezugsmöglichkeiten verfügen (Bethlehem und Raststätte Grauholz)». Als Nachteil erweist sich im Moment noch die beschränkte Verfügbarkeit dieses Treibstoffs. Zudem ist im LKW-Bereich die Auswahl von wasserstoffbetriebenen Modellen, welche die Bedürfnisse des Strassentunterhalts abdecken, noch sehr beschränkt. Im PW-Bereich hingegen stehen aktuell zwei Serienfahrzeuge von Toyota und Hyundai täglich und ohne Probleme im Einsatz.

Auf der A8 am Brünig im Einsatz: elektrisch betriebene Kehrmaschine

Dekarbonisierung auf weiteren Ebenen

Wer von Dekarbonisierung spricht, meint letztlich alle Massnahmen, die zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Wirtschaftsweise führen. In diesem Sinne trägt das Tiefbauamt auch in weiteren Bereichen zur Dekarbonisierung bei. So will das TBA das Potenzial seiner Infrastrukturen für die Produktion von Solarstrom nutzen. Zahlreiche Werkhöfe verfügen bereits über Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Betriebsgebäude. Weitere werden in den nächsten Jahren dazu kommen.

Photovoltaikanlage auf dem Dach des Autobahnwerkhofs Bern (Bild: Lea Massara)

Auch bietet das Tiefbauamt Investoren geeignete Flächen seiner Infrastrukturen (z. B. Brücken, Stützmauern oder auch Parkplätze auf Raststätten) zur Installation von PV-Anlagen an.

Ein weiteres Beispiel ist die konsequente Umrüstung der alten, energieintensiven Strassenlampen auf intelligente LED-Technik nach dem Prinzip «Licht nach Bedarf». Mit dieser Technik werden die Kantonsstrassen nur beleuchtet, wenn die Verkehrsteilnehmenden das Licht auch wirklich brauchen. Damit spart das TBA jährlich Tausende Kilowattstunden Strom und bares Geld ein und reduziert dazu auch gleich noch die Lichtverschmutzung.

Auch bei der Umsetzung der kantonalen Gesamtmobilitätsstrategie leistet das TBA seinen Beitrag hin zu einer nachhaltigeren, CO2-ärmeren Mobilität. So investiert es in den nächsten Jahren rund 15–20 Mio. CHF jährlich in die Verbesserung der Veloinfrastruktur und unterstützt die Gemeinden mit Beiträgen an Veloprojekte oder Anlagen der kombinierten Mobilität (Park-and-Ride und Bike-and-Ride).

Mit namhaften Investitionen in die Veloinfrastruktur trägt das Tiefbauamt zur Förderung des Veloverkehrs bei.

Und letztlich gehört dazu auch, dass Mitarbeitende einen Teil ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen können und der Kanton als Arbeitgeber auf der Mobilitätsplattform BEmobil seinen Angestellten viele Informationen, Angebote, Tipps und Tricks rund um die Mobilität bereitstellt – für den Arbeitsweg, für berufliche Fahrten und für mobiles Arbeiten. 

Im Gespräch: «Zur CO2-Reduktion können alle etwas beitragen»

Dekarbonisierung – dieses Thema beschäftigt nicht nur das Tiefbauamt, sondern die gesamte kantonale Verwaltung. Ulrich Nyffenegger ist Chef des Amts für Umwelt und Energie (AUE) und damit quasi das «grüne Gewissen» des Kantons. Im Gespräch mit Kantonsoberingenieur Stefan Studer zieht er eine Zwischenbilanz.

Herr Nyffenegger: Wie weit ist die kantonale Verwaltung auf dem Weg zur Dekarbonisierung, Stand heute?

Nyffenegger: Was Zielsetzungen und Grundlagen betrifft, steht der Kanton Bern sehr gut da – und zwar über alle Direktionen und über alle Fachgebiete hinweg. Wir haben einen Verfassungsartikel, ein sehr modernes Energiegesetz und eine Energiestrategie mit klaren Zielen. Es gibt viele Vorgaben, die auf einen verminderten CO2-Ausstoss ausgerichtet sind, z. B. im Beschaffungswesen, beim Fahrzeugpark, beim Bau von neuen Gebäuden.

 

Und wie steht es um die konkrete Umsetzung?

Nyffenegger: Wir haben einige Beispiele mit Vorzeigecharakter. Ich denke an die Plusenergie, an Neubauten, die der Kanton nach Minergie P- und Eco-Standards realisiert hat, aber auch an Photovoltaikanlagen und Ladestationen für die angeschafften E-Fahrzeuge. Aber zugegeben, es gibt auch Bereiche, wo wir noch nicht so weit sind. Kurz: Wir wissen, wohin wir gehen wollen, sind in vielen Bereichen auch schon angekommen, aber eben noch nicht ganz überall.

 

Welches sind die «Sorgenkinder»?

Nyffenegger: Der Kanton besitzt viele alte Liegenschaften. Alle diese Gebäude von heute auf morgen energiefit zu machen, geht nicht und wäre auch nicht nachhaltig. Neue Fassaden oder Dächer zu sanieren, funktionsfähige Heizungen herauszureissen macht keinen Sinn. Überall dort, wo der Lebenszyklus lange ist, beansprucht auch die Umsetzung mehr Zeit. Deshalb sind wir bei der Mobilität schneller unterwegs als bei Gebäudesanierungen.

 

In welchen Bereichen besteht aus Ihrer Sicht der grösste «Hebel» zur Dekarbonisierung?

Nyffenegger: Jede Direktion, nicht nur die Baudirektion, hat Einflussmöglichkeiten. Ich denke z. B. an die Forstdirektion: Wald ist einerseits eine CO2-Senke, andererseits Lieferant eines nachhaltigen Baustoffs. Die Gesundheitsbehörde kann beim Betrieb von Spitälern Einfluss nehmen, ebenso die Polizei punkto Benzin- und Dieselverbrauch. Nicht zu vergessen sind Raumplanung und Landwirtschaft, aber auch das Wirtschaftsamt, das Förderprogramme für nachhaltige Unternehmungen und Kreislaufwirtschaft anbietet. Gerade die Kreislaufwirtschaft wird ein zunehmend wichtiges Thema, das bisher eher stiefmütterlich behandelt worden ist.

Studer: Wir müssen unterscheiden, wo wir direkten Einfluss auf den CO2-Ausstoss haben und wo nur indirekten. Das zeigt sich gerade bei uns im Tiefbauamt. Direkten Einfluss nehmen können wir hauptsächlich mit nachhaltig geplanten Projekten, welche im Einklang mit Strategien wie der Gesamtmobilitätsstrategie stehen und bei denen wo möglich nachhaltige Materialien und insbesondere Recyclingbaustoffe eingesetzt werden. Auch im Fahrzeugbereich können wir durch die Elektrifizierung unserer Flotte direkt Einfluss nehmen. Dort, wo es aber in unseren Tätigkeiten punkto CO2 am meisten einschenkt, nämlich bei der Produktion von Beton und Asphalt, sind wir auf die Fortschritte der Industrie angewiesen, um unsere Tätigkeiten klimafreundlicher zu machen.

 

Wie realistisch ist ein Nettonull-Ziel für das Tiefbauamt?

Nyffenegger: Ich würde es umgekehrt formulieren: Ohne aktive Mithilfe des Tiefbauamts wird Nettonull in der kantonalen Verwaltung nicht möglich sein. Das TBA ist ein extrem wichtiger Partner. Es schafft quasi die Voraussetzungen für nachhaltigen Verkehr, indem es den Strassenraum so gestaltet, dass dieser für den Fuss- und Veloverkehr attraktiv ist, indem es für gute und sichere Radwege sorgt, die Haltestellen für den öffentlichen Verkehr vorausschauend an den richtigen Standorten baut, beispielsweise bei neuen Schulanlagen. Das Tiefbauamt hat also genau dort grossen Einfluss, wo wir in Sachen Dekarbonisierung am schnellsten vorwärtskommen können, nämlich bei der Mobilität.

Studer: In der Tat können wir bei der Mobilität Einfluss nehmen. So investiert der Kanton in den nächsten Jahren rund 15–20 Mio. CHF pro Jahr in die Verbesserung der Veloinfrastruktur. Unser Amt leistet zudem Beiträge an Veloprojekte der Gemeinden sowie an Anlagen der kombinierten Mobilität. Unsere Infrastrukturen schaffen damit Anreize zur Förderung einer klimafreundlicheren Mobilität.

 

In welcher Weise kann das Amt für Umwelt und Energie (AUE) andere Ämter unterstützen?

Nyffenegger: Unsere Aufgabe sehe ich vor allem darin, in der Gesetzgebung darauf hinzuwirken, dass die Verwaltung überhaupt die Möglichkeit bekommt, sich in Richtung Klimaneutralität zu bewegen. Ein Beispiel: Dass kantonale Neubauten den Minergie-P-Eco-Standard einhalten müssen, wurde auf Initiative von uns und dem Amt für Gebäude und Grundstücke ins Energiegesetz aufgenommen. Ähnliches passiert derzeit mit der Solarenergie. Wir wollen für erhöhte ökologische Anforderungen in der Verwaltung sorgen, damit Parlament und Regierung später dafür auch die finanziellen Mittel sprechen können.

Studer: Das AUE hat eine wichtige Koordinationsfunktion, weil Klimamassnahmen stets mehrere Ämter und Direktionen betreffen. Gut, dass das AUE bei der Erarbeitung der Rahmenstrategie Anpassung Klimawandel die Federführung übernimmt. Auch die Kreislaufwirtschaft betrifft mehrere Ämter und Direktionen und ist deshalb koordinationsbedürftig.

 

Wie gut funktioniert das Zusammenspiel unter den Amtsstellen und mit der Politik?

Nyffenegger: Es klappt immer besser. Ein gutes Beispiel ist für mich die Gesamtmobilitätsstrategie, die in gemeinsamer Arbeit von vielen Ämtern entstanden ist.

Studer: Tatsächlich ist es hier gelungen, sämtliche kantonalen Fachstellen im Bereich Mobilität, Verkehr und Raumplanung einzubinden und das geballte Fachwissen gesamtheitlich in die Strategie einfliessen zu lassen. Bisweilen haben wir zwar um Lösungen ringen müssen, aber das hat die Ämter auch zusammengeschweisst.

 

Umwelt- und Klimafragen werden die kantonale Verwaltung weiter intensiv beschäftigen. Was steht als Nächstes an?

Nyffenegger: Der Klimawandel ist leider eine Tatsache. Als Nächstes wird es deshalb um die Frage gehen, wie sich der Kanton auf den Klimawandel vorbereiten resp. sich diesem anpassen kann. Auch diese Strategie werden wir direktionsübergreifend anpacken. Klar, dass das Tiefbauamt auch hier ein wichtiger Partner sein wird, weil es u. a. um Naturgefahren und Hochwasserschutz geht.

Studer: Mit Fragen nach den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen wir uns im Tiefbauamt schon seit längerem. Es geht um Gefahren, die für unsere Strassen- und Gewässerinfrastrukturen bereits sehr real sind und immer akuter werden: Felsstürze, Steinschlag, Murgänge, Hochwasser usw. Sehr aktuell ist auch, wie wir mit unseren Infrastrukturen zur Vermeidung von Hitzeinseln beitragen können. So testen wir beispielsweise helle Beläge und erarbeiten Standards zur hitzemindernden Strassenraumgestaltung.

 

Wie viel können die einzelnen Mitarbeitenden zur Dekarbonisierung der Verwaltung beitragen?

Nyffenegger: Etwas ketzerisch gesagt: Damit die Politik «intelligente» Entscheide treffen kann, braucht sie Informationen aus der Verwaltung: Wie könnte etwas verbessert werden, was bringt es und was kostet es? Gute Ideen entstehen dabei oft an der Basis. Jede und jeder der 11 000 Kantonsangestellten kann in seinem Bereich etwas bewegen und Ideen einbringen, die vielleicht später sogar auf der politischen Ebene Wirkung zeigen.

Studer: Im Kleinen kann viel erreicht werden. Innovative und nachhaltige Ideen aus den Reihen der Mitarbeitenden zu würdigen und zu fördern, versuchen wir im Tiefbauamt zum Beispiel mit dem letzten Jahr lancierten TBA-Innovationspreis. Eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen haben wir bereits umsetzen können.

 

Stimmen die Rahmenbedingungen, um im Klimaschutz vorwärtszukommen?

Studer: Die gesetzlichen Vorgaben erachte ich als ausreichend. Jetzt geht es darum, vorhandene Ideen und Massnahmen umzusetzen. Dass Klimaschutz etwas kostet, ist leider eine Tatsache, der sich auch die Politik bewusst sein muss. Wir sind deshalb auf deren Verständnis angewiesen, wenn es z. B. um die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte im Strassenunterhalt geht. Diese Fahrzeuge sind bei der Anschaffung im Moment noch deutlich teurer als konventionelle, aber über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden sie möglicherweise sogar günstiger sein.

Nyffenegger: Der «first mover» zahlt immer etwas mehr, das ist so. Aber ich habe die Erwartung, dass die öffentliche Hand sich ihrer Vorbildfunktion bewusst ist und sich den Klimaschutz etwas kosten lässt.

Die Aarelandschaft in Worblaufen hat sich verändert  

Zwischen Löchligut und Worblaufen hat das Tiefbauamt des Kantons Bern im vergangenen Winter ein Wasserbauprojekt umgesetzt, das die dortige Aarelandschaft verändert hat – ein gelungenes Beispiel, wie naturnaher Uferverbau sowohl dem Hochwasserschutz als auch der ökologischen Aufwertung dienen kann.

Der Aareabschnitt zwischen Löchligut und Worblaufen ist ein beliebtes Naherholungsgebiet im Norden der Stadt Bern. Das ganze Jahr über ist der Uferweg von Spaziergänger/innen und Joggenden bevölkert. Im Sommer sind in und auf der Aare unzählige Badende, Gummiboote, Kanus und die Weidlinge der Pontoniere unterwegs. Mit der Revision der Uferschutzplanung «Aareraum Worblaufen» schufen der Kanton, die Gemeinde Ittigen und die Stadt Bern die planungsrechtlichen Grundlagen, um das rechte Aareufer in eine naturnahe, ökologisch wertvolle Uferlandschaft umzugestalten und zugleich die Wassersportinfrastruktur dort zu konzentrieren, wo der Aareraum bereits heute durch Bauten und Anlagen geprägt ist, nämlich im direkten Umfeld der Tiefenaubrücke.

Mittlerweile sind die wasserbaulichen Massnahmen zur Aufwertung des Aareraums Worblaufen umgesetzt. Einerseits realisierte die Gemeinde Ittigen unterhalb der Tiefenaubrücke im Winter 2021/2022 die Massnahmen zugunsten der Naherholung und schuf dort einen konzentrierten Bereich für Wassersport. Andererseits setzte der Kanton im Winter 2022/2023 auf den angrenzenden Aareabschnitten ein Wasserbauprojekt um, das die Aarelandschaft zwischen Löchligut und Worblaufen verändert hat: Der Blick auf die Aare ist durch die Holzereiarbeiten offener geworden. Gleichzeitig konnten die schadhaften Uferverbauungen in der Aarekurve mehrheitlich durch einen ökologischen Holzverbau ersetzt werden. In zwei Bereichen wurde das Aareufer abgeflacht und an zwei Stellen sind neue Amphibienweiher entstanden.

Baumstämme, Ast- und Steinhaufen – wozu?

Wer entlang des umgestalteten Aareufers promeniert, mag sich wundern über Baumstämme, die ins Wasser ragen, über Ast- und Steinhaufen, die im Uferbereich angelegt worden sind. Wozu das? Es handelt sich um sogenannte «Strukturelemente», die einen wichtigen Beitrag zur Renaturierung leisten. Sie schützen nicht nur das Ufer vor Erosion, sondern stellen auch wertvolle Nischen für Tiere und Pflanzen dar – im Wasser für Fische, am Ufer für Vögel und Kleinlebewesen wie Insekten. Gleiches gilt für die neu geschaffenen Inseln aus Totholz inmitten der Aare.

Uferverbau mit Baumstämmen in der Aarekurve, Blickrichtung Löchligut.
Totholzinseln in der Mitte der Aare bieten wertvolle Nischen für Fische.

Die Balance zwischen Natur und Nutzung

Entstanden ist durch alle diese Massnahmen eine Aarelandschaft, die nicht nur die Erosion des Ufers verhindern soll, sondern für Mensch und Natur einen echten Mehrwert bietet. Dass dabei Kompromisse eingegangen werden müssen, liegt buchstäblich in der Natur der Sache. «Es geht darum, einen neuen Umgang bei der Nutzung der Aare zu finden», sagt Warin Bertschi, Bereichsleiter Wasserbau beim Oberingenieurkreis II. Er möchte daher allen Aarenutzenden ans Herz legen, dass eine renaturierte Aare auch gewisse Risiken birgt – zum Beispiel für jene, die schwimmend oder mit dem Gummiboot unterwegs sind. «Es gibt Stellen, die vorsichtig passiert werden müssen, weil man sich in Ufernähe an Ästen und Holzstrukturen verfangen kann», betont Bertschi. «Wir haben uns bezüglich Sicherheit sehr viele Gedanken gemacht. Grundsätzlich geht es darum, eine Balance zwischen mehr Natur und den vorhandenen Nutzungen zu finden.» Mit der Umsetzung des Wasserbauprojektes sei ein wichtiger Meilenstein erreicht worden. «Es ist klar, dass wir die Wirkung der Massnahmen, insbesondere bei sommerlichen Abflussverhältnissen, sehr genau beobachten und die Funktionalität laufend überprüfen werden.»

Die Aare wird weiter arbeiten

Die Bagger haben ihre Arbeit mittlerweile beendet, doch die Gestaltung ist damit noch nicht abgeschlossen. Bertschi: «Es ist jetzt der Aare selber überlassen, die durch die Projekte veränderte Landschaft weiter zu gestalten und zu formen, ganz in ihrem Rhythmus.» Bertschi ist mit dem Ablauf der Bauarbeiten sehr zufrieden: «Dank des niedrigen Wasserstandes sind wir im letzten Winter schneller vorangekommen als geplant.» Und auch vom Resultat ist er überzeugt: «Die umgestaltete Uferlandschaft machte im ersten Moment noch einen etwas kahlen Eindruck, im Verlaufe des Sommerhalbjahrs hat sich das Bild aber bereits deutlich verändert.» Und das wird es weiterhin tun. Die vielen Aarespazierenden zwischen Löchligut und Worblaufen werden sich davon in den kommenden Jahren überzeugen können.

Dieses Video zeigt den renaturierten Aareraum zwischen Löchligut und Worblaufen:

Infrastrukturgebäude ist im Bau  

Ein weiteres Puzzleteil zur Aufwertung des Aareraums Worblaufen ist seit März 2023 im Bau: Die Gemeinde Ittigen realisiert bis im Frühling 2024 auf dem Areal der abgerissenen «Aarehütte» ein Infrastrukturgebäude. Auf der Westseite entsteht ein ganzjährig betriebenes Restaurant inklusive Terrasse und einer Buvette, auf der Ostseite Räume für Sportvereine und Kulturschaffende.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projektwebseite

default
Die neu gestaltete Aare im Löchligut aus der Vogelperspektive. (Bild: Kästli AG)
Der Aareraum Worblaufen im ursprünglichen Zustand, Blick aareaufwärts von der Tiefenaubrücke aus gesehen.

Wie weiter mit dem Bieler Westast?  

Mit einer Gesamtmobilitätstudie will die übergeordnete Projektorganisation «Espace Biel/Bienne.Nidau» (EBBN) prüfen, wie ein funktionsfähiges und nachhaltiges Verkehrssystem im Westen von Biel aussehen könnte. Untersucht werden soll nicht nur der Nutzen von langfristigen Infrastrukturelementen wie ein Juratunnel oder ein Porttunnel, sondern auch alternative Lösungsansätze.

Der Westast der A5-Umfahrung Biel/Bienne wird nicht realisiert. Dies war vor drei Jahren das Ergebnis eines intensiven Dialogprozesses, der mit Befürwortern und Gegnern des Umfahrungsprojekts geführt worden war. Die Suche nach einem nachhaltigen, funktionierenden Gesamtverkehrssystem im Westen von Biel geht indes weiter. Anfangs Januar 2021 wurde die übergeordnete Projektorganisation «Espace Biel/Bienne.Nidau» (kurz EBBN) gebildet. Sie besteht aus dem Kanton, den Städten Biel und Nidau, den Gemeinden Port, Brügg und Ipsach sowie dem Verein seeland.Biel/Bienne. Geleitet wird das Gremium vom Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr. EBBN widmet sich der Umsetzung und Nachbearbeitung der zahlreichen Empfehlungen aus dem Schlussbericht des Dialogprozesses.

Arbeiten für kurz- und mittelfristige Massnahmen

Verschiedene kurz- und mittelfristige Massnahmen sind in die Agglomerationsprogramme eingeflossen und befinden sich in Planung oder bereits in Umsetzung. Auf der Achse Brüggmoos-Neuenburgstrasse will EBBN im Rahmen eines gesamtheitlichen Studienauftrags prüfen, wie die heutige Strasse verträglich umgestaltet werden könnte. Im Projekt mit dem Namen «Rue de caractères» findet derzeit eine öffentliche Mitwirkung statt (Webseite).

Wie weiter mit langfristigen Infrastrukturelementen?

Unklar ist die Frage, wie die Nationalstrassen-Netzlücke in Biel langfristig zu schliessen ist. Bereits geprüft wurde die Zweckmässigkeit einer Seelandtangente, mit dem Ergebnis, dass eine solche Lösung nicht mehr weiter zu verfolgen ist und dass sich potenziell machbare Lösungen auf eine Linienführung im Norden von Biel beschränken (Juratunnel). Auch ist unklar, welchen Beitrag ein Porttunnel, der Bestandteil des abgeschriebenen Westastprojekts war, an ein funktionsfähiges und nachhaltiges Verkehrssystem in Biel leisten könnte. Es besteht Handlungsbedarf, denn die bisher noch ungeklärten Fragen führen zu Planungsunsicherheit und blockieren unter anderem auch laufende Arealentwicklungen.

Grundlagen schaffen mit einer Gesamtmobilitätsstudie

Mit einer Gesamtmobilitätsstudie wollen der Kanton und die regionalen Partner diese offenen Fragen klären. Die Studie, welche unter der Leitung der Region seeland.biel/bienne steht, soll die möglichen Lösungen zur Schliessung der Nationalstrassennetzlücke im Westen von Biel einer kritischen Prüfung unterziehen. Untersucht werden sollen insbesondere die Zweckmässigkeit eines Porttunnels und eines Juratunnels und was diese beiden Infrastrukturelemente zu einem nachhaltigen und funktionierenden Gesamtverkehrssystem beitragen können. Geprüft wird aber auch, ob es alternative Lösungen mit anderen Massnahmen gibt, mit denen die Ziele erreicht werden können. Im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes beschränkt sich die Studie nicht nur auf Verkehr und Mobilität, sondern bezieht auch Aspekte von Siedlung und Landschaft mit ein. Wichtig ist zudem eine breite räumliche Betrachtung mit Einbezug der Gebiete des linken und rechten Bielerseeufers.

Ergebnisse liegen 2025 vor

Von den Ergebnissen der Gesamtmobilitätstudie, die Anfang 2024 startet und bis Mitte 2025 beendet werden soll, erhoffen sich die Partner der EBBN eine Klärung der Situation. Ziel ist es, innert Jahresfrist erste Lösungsansätze zu erhalten und diese anschliessend einer breiten Mitwirkung zu stellen. Damit soll erkannt werden, ob ein regionaler Konsens für das weitere Vorgehen besteht.

Die Ergebnisse der Gesamtmobilitätstudie sollen später in die Planungsprozesse der Behörden von Bund, Kanton, Region und Gemeinden sowie der öffentlichen Transportunternehmen einfliessen.

Medienmitteilung zur Sitzung der Behördendelegation vom 7. Dezember 2023

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite von EBBN: www.espace-bbn.ch

Seite teilen