Velovorrangrouten – dem Velo den Weg bahnen
Eine sichere, schnelle und möglichst unterbruchsfreie Fahrt – dies war einst die Idee der Autobahnen. Jetzt wird das Konzept für das Velo wiederentdeckt: Velovorrangrouten sollen den Trend der rasant wachsenden Zahl von Velofahrenden unterstützen und ein sicheres und komfortables Fortkommen ermöglichen. Knackpunkt ist die Umsetzung.
Der dichte Verkehr auf den Hauptachsen und die steigende Zahl von Velofahrenden und ihren unterschiedlichen Tempi führt zunehmend zu Konflikten. «Velofahrende wollen sicher und mit möglichst wenigen Stopps vorwärtskommen», sagt Nicolas Hofer, Co-Leiter der Fachstelle Langsamverkehr im Tiefbauamt. «Sie wünschen sich vortrittsberechtigte Velowege ohne unnötige Halte im Stau, vor Lichtsignalen oder Barrieren.» Gefragt sind deshalb Routen neben oder abseits der Hauptverkehrsstrassen, die nur schwache Neigungen haben und so übersichtlich sind, dass sie ein gegenseitiges Überholen erlauben.
Möglichst separate Wege
Mit der Realisierung kantonaler Velovorrangrouten will das Tiefbauamt all diesen Anliegen Rechnung tragen. Die Forderung geht auf eine grossrätliche Motion (Vanoni) zurück. Velovorrangrouten bilden die höchste Netzebene des Veloverkehrs. Sie verknüpfen wichtige Ziele im Alltagsverkehr und liegen hauptsächlich in den Agglomerationen; also dort, wo eine grosse Anzahl Personen die täglichen Wege per Velo zurücklegt. Hofer: «Primäre Zielgruppe ist der Alltagsverkehr, wo Zeit und Komfort bei der Wahl des Verkehrsmittels eine grosse Rolle spielen.» Vorrangrouten sind deshalb Verbindungen, auf denen der Veloverkehr möglichst separat oder auf Strassen mit geringem Motorfahrzeugverkehr geführt wird. «Velofahrende sollen auf diesen Routen nur selten anhalten müssen und einander konfliktfrei überholen können», erklärt Hofer. Und Erik Gorrengourt, der andere Co-Leiter der Fachstelle Langsamverkehr, ergänzt: «Um das volle Potenzial des Veloverkehrs auszuschöpfen, muss eine Vorrangroute nicht nur sicher, durchgängig und attraktiv sein, sie muss auch als solche erkennbar sein. Das heisst nicht, dass alles mit Velopiktogrammen und Wegweisern übersät werden muss. Aber insbesondere an Knoten muss für die Velofahrenden klar sein, wo es für sie weitergeht.
Ringen um Kompromisse
Soweit die Zielsetzung. Diese in die Praxis umzusetzen, ist allerdings eine grosse Herausforderung. Denn Velovorrangrouten sind meist keine Neubauprojekte, sondern verlaufen über bestehende Strassen und Wege. Und diese sind in aller Regel nicht auf die Bedürfnisse der Velofahrenden ausgerichtet, weder von der Strassenbreite noch von den Vortrittsregelungen her. Nicolas Hofer: «Wenn immer möglich, wollen wir die bestehende Infrastruktur nutzen.» Als Massnahme kommt dann etwa das Asphaltieren eines bestehenden Flurwegs in Frage, sei es mit oder ohne Verbreiterung. Dabei stellt sich die Frage, wie viel Fläche für den Veloverkehr zusätzlich versiegelt werden soll. Oder es geht um Anpassungen der Markierung oder des Vortrittsregimes. Was nach wenig tönt, kann in der Praxis allerdings auf erheblichen Widerstand bei Grundeigentümern oder Gemeinden stossen, weil privates Land oder Gemeindestrassen betroffen sind. Es sei oft ein Ringen um Kompromisse, sagt Nicolas Hofer. «Unsererseits müssen wir den Gemeinden verständlich machen können, was nötig ist, damit eine Velovorrangroute ihre Funktion erfüllen kann. Und umgekehrt geht es um die Frage, wie stark andere Verkehrsteilnehmende zugunsten des Velos beeinträchtigt werden dürfen.» Zuständig für die Realisierung von Velovorrangrouten ist von Gesetzes wegen nicht nur der Kanton, auch die Gemeinden sind in der Verantwortung.
Beispiele Worblental und Wangental
Dass das Planen von Velovorrangrouten kein Selbstläufer, sondern harte Knochenarbeit ist, erlebt Bruno Krähenbühl vom Oberingenieurkreis II derzeit gleich in zwei Projekten, wo Velovorrangrouten vorgesehen sind. Die eine soll von Worb bis Deisswil durchs Worblental führen, die andere von Thörishaus nach Niederwangen durchs Wangental. Sowohl das Worblental als auch das Wangental sind boomende Wohngebiete in idealer «Velodistanz» zur Stadt Bern. Unzählige pendeln von dort täglich in die Stadt zur Arbeit oder zur Schule, die meisten per ÖV oder mit dem Auto. Damit das Velo für deren Arbeitsweg zu einer gleichwertigen Alternative wird, braucht es eine verbesserte Veloinfrastruktur, eben eine Velovorrangroute. «Das Umsteigepotenzial auf diesen Achsen schätzen wir als sehr hoch ein», sagt Nicolas Hofer.
Doch gerade auf diesen stadtnahen Einfallsachsen zeigen sich die Herausforderungen, denen sich die Veloförderung stellen muss. Bruno Krähenbühl: «Die Grundproblematik besteht darin, dass der Talboden in solch intensiv genutzten Agglomerationsräumen längst verteilt und eh schon überbeansprucht ist.» Die Strasse, die Bahn, die Wohnsiedlungen, die Industrie- und Gewerbebetriebe, die Wanderwege, die Schutzgebiete, der Wasserbau – sie alle beanspruchen Boden, den die Landwirtschaft im Verlauf der letzten Jahrzehnte scheibchenweise abgegeben hat. Jetzt kommt da noch der Anspruch auf eine Velovorrangroute. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert. Doch das hindert das Tiefbauamt nicht daran, intensiv nach Lösungen zu suchen: Im Worblental werden nun Vorprojekte ausgearbeitet, im Wangental ist man kurz vor Abschluss der Planungsstudie.
Beispiel Biel – Lyss
Geplant wird eine Velovorrangroute auch im Seeland (vgl. dazu auch «Seeland – eine Region mit hohen Velo-Zielen»). Die zehn flachen Kilometer zwischen Biel und Lyss eignen sich bestens dazu. Ausgelöst durch ein Sanierungsprojekt auf der Ortsdurchfahrt Aegerten gab der Kanton eine Korridorstudie in Auftrag, die unter Mitwirkung der Region nach Bestlösungen für eine attraktive Veloverbindung zwischen den beiden Zentren Biel und Lyss suchte. «Zwischen Studen und Lyss fanden wir relativ rasch gute Lösungen, die auch bei den betroffenen Gemeinden mehrheitsfähig sein sollten», sagt Erik Gorrengourt. Zwischen Brügg und Aegerten hingegen sind noch Knackpunkte vorhanden. Einer davon betrifft die Querung des Nidau-Büren-Kanals: «Die bestehende Brücke der A6 verfügt zwar beidseitig über abgetrennte Radwege. Diese sind aber zu schmal für eine Vorrangroute und erlauben keine Überholmanöver. Zudem erlaubt die Statik der Brücke keine zusätzlichen Installationen für den Rad- oder Fussverkehr.» Wie im Worblen- und Wangental gibt es aber auch im Seeland Diskussionen um gewünschte Wegbreiten und Ausbaustandards. Es sind solche und ähnliche Fragen, die es nun in der nächsten Phase zu klären gilt.
Ansprüche zurückschrauben?
Angesichts dieser vielschichtigen Interessenlage bei der Planung von Velovorrangrouten bleibt es eine grosse Herausforderung, den hohen Anforderungen überall vollumfänglich gerecht zu werden. Denn «Vorrang» heisst auch, dass andere zurückstehen müssen. «Es braucht Kompromisse», sagt Nicolas Hofer, «ob ein Radweg für den Ein- oder Zweirichtungsverkehr eingerichtet, ein Flurweg asphaltiert oder ein breiter Radstreifen markiert wird, hängt nicht nur von den Platzverhältnissen ab, sondern auch von den Ansprüchen anderer.» Er denkt da z. B. an Wanderer, die keine Freude haben an asphaltierten Wegen. Landwirte hingegen sind nicht per se gegen asphaltierte Wege, möchten diese dann aber auch ungehindert befahren können: Vorrang für den Traktor und nicht fürs Velo!
Es zeichnet sich also ab, dass Velovorrangrouten abschnittsweise eher auf Koexistenz angelegt werden müssen. Das würde für die schnellen Velofahrer heissen: Ansprüche zurückschrauben und akzeptieren, dass es da und dort etwas enger wird als die für eine Vorrangroute vorgesehenen 3,5 bis 4,5 Meter. Oder dass die Vortrittsberechtigung nicht über den ganzen Korridor gewährleistet ist.
Im Gespräch...
Seeland – eine Region mit hohen Velo-Zielen
Das Seeland gilt als ideales Veloland: Flaches Terrain, ein dichtes Netz von Flurwegen in landschaftlich reizvoller Umgebung. Was unternimmt die Region zur Veloförderung und wo liegen die Stolpersteine? Thomas Berz, Geschäftsleiter der Region seeland.biel/bienne, im Gespräch mit Claudia Christiani, Kreisoberingenieurin Seeland/Berner Jura.
Herr Berz, die Region Biel-Seeland hat im Juni 2021 den regionalen Velonetzplan verabschiedet. Was fehlt dem Seeland noch auf dem Weg zum «Veloparadies»?
Thomas Berz: Es fehlt noch einiges. Denn dazu bräuchte es eine Veloinfrastruktur, die breite Bevölkerungskreise zum Velofahren einlädt: durchgehende, sichere Routen, auch über längere Strecken. Das können wir heute erst punktuell anbieten. Wir haben auf Velorouten immer wieder schwierige Kreuzungen, Einmündungen, wenig Platz, viel Verkehr mit teils hoher Geschwindigkeit. Das schreckt die Leute ab. Sie trauen es sich schlicht nicht zu, hier mit dem Velo unterwegs zu sein. Das hat zur Folge, dass heute vor allem die Geübten, Sportlichen mittleren Alters unterwegs sind. Es fehlen die Jungen und auch die Älteren. Das ist auch bei uns im Seeland so und wohl die Folge von Mängeln in der Infrastruktur.
Frau Christiani, unser Strassenverkehrssystem ist vornehmlich auf das Auto ausgerichtet. Wie beeinflussen die steigenden Ansprüche der Velofahrenden die Strassenplanung?
Claudia Christiani: Der Einfluss ist deutlich spürbar. Viele unserer Projekte sind heute (auch) Veloprojekte. Die Gesellschaft ist im Umbruch. Viele sehen die Mobilität heute anders als früher und sind gewillt dem Velo mehr Platz zu verschaffen oder auf Ortsdurchfahrten Tempo 30 zu akzeptieren. Wir bemühen uns, die Ansprüche aller Verkehrsteilnehmenden unter einen Hut zu bringen und die Kantonsstrassen so zu gestalten, dass die Lust am Velofahren geweckt wird. Dort, wo das nicht möglich ist, suchen wir nach Lösungen abseits der Hauptachsen. Aber separate Velowege gehen halt oft zulasten von anderen Flächen, z. B. von privaten Vorgärten oder Fruchtfolgeflächen.
Im Sachplan Veloverkehr hat der Kanton das Routennetz von kantonaler Bedeutung definiert. Der regionale Velonetzplan zeigt nun auf, wo auf dem feinmaschigen regionalen Netz noch Handlungsbedarf besteht. Sind sich Kanton und Region einig, was zu tun ist?
Berz: Einig sind wir uns, dass wir letztlich ein zusammenhängendes Velonetz haben möchten. Das bedingt gleiche Ziele und Standards für kantonale und regionale Velorouten. Hier haben wir uns noch nicht ganz gefunden. Ich frage mich, ob es wirklich zwei verschiedene Netzpläne braucht. Ich könnte mir vorstellen, dass ein gemeinsam von Kanton und Region erarbeitetes Instrument reicht. Der Sachplan müsste dann aber natürlich dichter und detaillierter sein. Als hinderlich erachte ich auch, dass bereits in der Planungsphase Sach- und Finanzfragen vermischt werden. Klar, das Geld spielt immer eine Rolle. Aber eigentlich sollten wir zuerst ein sinnvolles Routennetz definieren und danach halt bei der Umsetzung die Prioritäten den finanziellen Möglichkeiten anpassen.
Christiani: Leider passte die Veloplanung zeitlich nicht mit anderen übergeordneten Planungen (RGSK und Agglomerationsprogramme) zusammen. Aber der Auftrag des Kantons ist klar: Er ist für das grobmaschige Netz zuständig, das feinmaschige ist Sache der Region und der Gemeinden. Wo genau die Schnittstellen verlaufen, da müssen wir uns noch finden. Der Austausch mit der Region und den Gemeinden läuft, bei der Feinabstimmung können wir sicher noch besser werden.
Im regionalen Velonetzplan sind konkrete Massnahmen aufgelistet. Wer ist für deren Umsetzung zuständig?
Christiani: Zuständig ist der jeweilige Strasseneigentümer, also entweder der Kanton oder die Gemeinde. Wenn ein Veloweg auf einer Gemeindestrasse kantonale Netzfunktion hat und im Sachplan aufgenommen ist, übernimmt der Kanton 40 % der Kosten.
Berz: Wir von der Region unterstützen Gemeinden dort, wo es um wichtige gemeindeübergreifende Velorouten geht, insbesondere bei Netzlücken. Vor allem in jenen Fällen, wo eine Massnahme hauptsächlich Nachbargemeinden zugutekommt, braucht es oft viel Überzeugungsarbeit.
Für die Strecke zwischen Lyss und Biel erarbeitet der Kanton derzeit eine Planungsstudie für eine sogenannte «Velovorrangroute». Wie konkret sind diese Pläne?
Christiani: Konkret ist noch nichts. Das Tiefbauamt hat im Rahmen einer Machbarkeitsstudie viele Linienführungen geprüft. Die bevorzugte Route tangiert natürlich auch Gemeinden und private Grundeigentümer. Mit diesen werden wir in einem nächsten Schritt die Details im Hinblick auf eine mögliche Realisierung aushandeln. Noch unklar ist die Linienführung in der Gemeinde Brügg und in Aegerten müsste ein neuer Radweg gebaut werden.
Wie beurteilt die Region die Idee der Velovorrangroute?
Berz: Bei der Verbindung zwischen Lyss und Biel handelt es sich um die wichtigste Agglo-Achse in unserer Region. Die Strecke ist ca. 10 km lang und flach – ideales Terrain für Velopendler also! Die Velovorrangroute ist ein neues Element. Wichtig ist, dass sie optimal mit dem lokalen Netz verknüpft wird. Vermutlich wird man punkto Breite und Vortrittsberechtigung nicht alle Anforderungen an eine Vorrangroute erfüllen können. Ich kann mir vorstellen, dass auf dieser Route dann nicht nur schnelle Velopendler, sondern auch Schüler und Velotouristen unterwegs sein werden. Es müssen möglichst viele davon profitieren können. Ortsangepasste Lösungen sind gefragt, sonst werden wir das Ziel nie erreichen.
Für Velofahrende bringen oft auch kleine Massnahmen z. B. bei Kreuzungen oder auf Ortsdurchfahrten grosse Vorteile. Welche Beispiele gibt es dazu in Ihrem Kreis?
Christiani: Wir prüfen bei jedem Projekt, auch bei einfachen Belagserneuerungen, ob wir für die Velofahrenden etwas verbessern können, z. B. eine Kernfahrbahn markieren (keine Mittellinie, dafür beidseits Radstreifen) oder bei Steigungen einen Radstreifen. In Nidau haben wir auf der Ortsdurchfahrt Tempo 30 eingeführt. Bei Kreiseln sind wir darauf bedacht, diese so (um) zu bauen, dass sie nur noch mit reduzierter Geschwindigkeit befahren und Velofahrende im Kreisel nicht überholt werden können.
Berz: Entscheidend sind auch sichere Querungs- und Abbiegemöglichkeiten, dort wo Velorouten eine Hauptachse kreuzen.
Herr Berz, die Region möchte den Anteil des Veloverkehrs an der Gesamtmobilität bis 2030 auf 12 % verdoppeln.
Berz: Ich halte das für realistisch, wenn wir die Massnahmen des Velonetzplans konsequent umsetzen können. Die Ausgangslage ist günstig, denn die Gemeinden haben die Bedeutung des Veloverkehrs mittlerweile erkannt.
Christiani: Das Ziel ist sehr sportlich, vor allem was den Zeitpunkt betrifft. Zwar wollen viele Gemeinden mit der Veloplanung vorwärtsmachen, aber neben den Veloanliegen gibt es noch viele andere Ansprüche an uns vom Kanton, denen wir ebenso Rechnung tragen wollen.
Projektinformation
Wehrbrücke Port – Rettung in letzter Minute
Damit hatte niemand gerechnet. Als der Kanton vor zweieinhalb Jahren die rund 80-jährige Wehrbrücke über den Nidau-Büren-Kanal überprüfte, zeigten sich unerwartet grosse Schäden. Sofort wurde die viel befahrene Brücke für den Schwerverkehr gesperrt und temporär abgestützt. Die Sanierung dauerte zwei Jahre und wird Ende 2021 abgeschlossen.
«Da stimmt etwas ganz und gar nicht», dachte Bernard Progin, als er im Herbst 2018 über die Wehrbrücke von Port nach Brügg fuhr. Sein Bauchgefühl sollte dem Projektleiter Kunstbauten im Oberingenieurkreis III recht geben. «Als ich die Brücke in Augenschein nahm, war ich schockiert. Ich entdeckte massive Schäden», erinnert sich Progin. Sofort wurde ein Ingenieurbüro mit der detaillierten Zustandsanalyse beauftragt. Das Fazit war eindeutig: Die Brücke ist dringend sanierungsbedürftig.
Sofortmassnahmen
Die Gemeinden verfügten im April 2019 ein sofortiges Verbot für Lastwagen und Schritttempo für alle anderen Fahrzeuge. Im Herbst 2019 wurden die Längsträger der Strasse temporär abgestützt. «Bis dahin hatte ich grosse Sorgen», erinnert sich Progin. «Ich hatte Bedenken, dass trotz Verbot ein Lastwagen darüberfahren würde und mit einer extremen Belastung, wie zum Beispiel einer Vollbremsung, die Brücke dem nicht standhalten würde.» Auch der Busverkehr über die Wehrbrücke Port musste eingeschränkt werden. Es durfte nur noch ein leichterer Bustyp verkehren und auch für diesen galten die 10 km/h. Eine Herausforderung für jeden Buschauffeur, vor allem wenn der Fahrplan eingehalten werden soll.
Verrostete Eisen und fehlender Beton
Die grossen Schäden entstanden, weil Wasser jahrzehntelang durch undichte Fugen in den Beton eindringen konnte. Problematisch ist vor allem das Salzwasser im Winter. Es greift die Armierungseisen an, diese rosten, dehnen sich aus und der Beton platzt ab. Fehlt der Beton bei den Brückenlagern, besteht Einsturzgefahr. Die Lager können den Druck nicht mehr übernehmen und auf die Pfeiler ableiten. Bei der Wehrbrücke Port war so viel Beton weg, dass sie fast nur noch auf den Armierungseisen lagerte. Für die Sanierung musste der ostseitige Längsträger komplett abgebrochen und ersetzt werden, die anderen Betonträger wurden saniert. Zu diesem Zweck zog man Stahlgerüste auf Pontons in die einzelnen Wehrabschnitte. «Zum Glück waren diese Arbeiten bereits im Oktober 2020 abgeschlossen. Die Hochwassersituation in diesem Sommer wäre eine grosse Herausforderung gewesen», weiss Progin. Bedenken hätten sie nur beim provisorischen Fussgängersteg gehabt und die Abstützung zweimal täglich kontrolliert.
Eine Brücke zerfällt und niemand bemerkt es
Wie kann das sein, wenn Brücken alle fünf Jahre auf ihren Zustand hin kontrolliert werden? Die Wehrbrücke Port stammt aus dem Jahr 1938. Damals ging vergessen, die Zuständigkeiten für die Brücke klar zu regeln. In der Folge fühlte sich auch niemand verantwortlich, die Brücke regelmässig zu überprüfen und zu reparieren. Der Kanton ging von der Zuständigkeit der Gemeinde aus, letztere von jener des Kantons. Nach der Zustandsanalyse durch das kantonale Tiefbauamt musste jedoch gehandelt werden. Ein Entscheid des Verwaltungsgerichts im April 2019 brachte die nötige Klärung: Obwohl über die Brücke keine Kantonsstrasse führt, ist der Kanton für die Wehrbrücke zuständig.
Sicherheit für den Langsamverkehr
Neben der Neugestaltung der Wehrbrücke umfasst das Projekt auch den parallelen Bau einer Fussgänger- und Radfahrerbrücke. Damit kann die Situation für den Langsamverkehr wesentlich verbessert werden. Diese neue Brücke wurde bereits im Rahmen des Ausführungsprojekts «A5 Umfahrung Biel, Verzweigung Brüggmoos» geplant und genehmigt. Ein zusätzliches Bewilligungsverfahren war deshalb nicht nötig. Die konstruktive Ausgestaltung der neuen Brücke erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege.
Die Instandsetzung der Wehrbrücke kostet rund 6,5 Millionen Franken, die Erstellung der Brücke für den Langsamverkehr knapp 3,7 Millionen.
Projektinformation
Bausommer in Sumiswald
Gleich drei Bauprojekte wurden diesen Sommer in Sumiswald umgesetzt: ein neuer Radweg von der Grünenmatt bis Sumiswald, die Erschliessung des Entwicklungsgebiets Fürtenmatte und die Erneuerung der sanierungsbedürftigen Strasse bis zum Bahnhof. Die Bauarbeiten sind so weit abgeschlossen, nur die Deckbeläge fehlen noch. Diese werden nächstes Jahr eingebaut.
Vor allem für die Alltagsnutzung kann das Velostreckennetz im Kanton Bern noch optimiert werden. So legt es der Ende 2014 fertiggestellte Sachplan Veloverkehr des TBA fest. Eine Lücke im sicheren und attraktiven Streckennetz bestand zwischen Grünenmatt und Sumiswald. Mit dem neuen Radweg wurde diese nun geschlossen.
Eingeklemmt zwischen Gewässer und Hang
Die schmale Kantonsstrasse zwischen Sumiswald und Grünenmatt ist stark befahren und es gilt Tempo 80. «Als Velofahrende hätte ich mich hier auch nicht sicher gefühlt», meint Anna Steiner, Projektleiterin des Oberingenieurkreises IV. Doch entlang der Hauptstrasse gibt es nirgends Platz für einen Radweg, die Kantonsstrasse ist zwischen der «Grüne» und dem Hang eingeklemmt. Die Lösung fand sich entlang der BLS-Linie zwischen Grünenmatt und Sumiswald. «Wir konnten einen bestehenden Weg zum Radweg ausbauen», erklärt Steiner. Doch auch hier wartete eine neue Herausforderung. Der Baugrund erwies sich als schlecht tragend, da die Kiesschicht tiefer lag als erwartet. «Auf solche Überraschungen könnte man natürlich verzichten», meint Steiner. Das verzögere die Arbeiten und habe Kostenfolgen. Der nasse Sommer hingegen habe die Arbeiten nicht wesentlich beeinflusst. «Wir hatten Glück. Die meisten Erdarbeiten waren erledigt, bevor es richtig nass wurde.»
Entwicklungsgebiet Fürtenmatte
Der Radweg führt bis zur Fürtenmatte, ein Industriegebiet, das sich ständig weiterentwickelt. Da war es naheliegend, das Projekt zu erweitern und gemeinsam mit der Gemeinde Sumiswald die Erschliessung der Fürtenmatte umzusetzen. Das Abbiegen in das Entwicklungsgebiet Fürtenmatte wurde vereinfacht und Velofahrende können nun sicher von der Kantonsstrasse auf den Radweg abbiegen. «Vor und während der Bauzeit war es enorm wichtig, dass wir die Verkehrseinschränkungen rechtzeitig und umfassend kommuniziert haben», erinnert sich Steiner. Der Bahnübergang direkt vor der Baustelle habe das Verkehrsregime nicht einfacher gemacht und die langen Wartezeiten und Umleitungen den Verkehrsteilnehmenden viel Geduld abverlangt.
… und weiter bis zum Bahnhof
Von der Fürtenmatte ist es nicht mehr weit bis zum Bahnhof Sumiswald. Diese Strecke war sanierungsbedürftig und da lag es auf der Hand, diese im Rahmen der laufenden Projekte zu erneuern. Zudem wurden die alten Elektro- und Wasserleitungen durch die Energie AG Sumiswald ersetzt. Die Bauarbeiten sind so weit abgeschlossen, nur die Deckbeläge auf der Kantonsstrasse fehlen noch. Diese werden nächstes Jahr eingebaut.
Der Kostenanteil des Kantons beträgt über alle drei Projekte verteilt 1,85 Millionen Franken.
Projektinformation
Gürbe: Wie viel Schutzbauten sind sinnvoll?
Die Gürbe ist im Oberlauf ein typischer Wildbach, der bei Starkniederschlägen sofort viel Geschiebe ins Gürbetal tragen und Murgänge auslösen kann. Seit 150 Jahren wird deshalb im Einzugsgebiet der Gürbe mit viel Aufwand verbaut. Eine Studie zeigt nun, dass die Schutzmassnahmen statt oben besser dort getroffen werden, wo die Gürbe in flacheres Gelände kommt.
Das Einzugsgebiet der Gürbe am Fusse der Gantrischkette hat es in sich: Es ist steil, rutschgefährdet und zudem ein bekanntes Gewittergebiet. Beim Unwetterereignis am 29. Juli 1990 fallen innerhalb von wenigen Stunden 240 Millimeter Regen und 500 mm Hagel: Schweizer Rekord! Die Sohle erodiert bis zu 8 Meter. 80 Sperren werden zerstört. Die Gürbe tritt unterhalb des Kegelhalses (d. h. dort, wo die Gürbe in flacheres Gebiet kommt) über die Ufer. Talabwärts kommt es zu massiven Schäden an Brücken, Bahngleisen und zu grossflächigen Überflutungen im Gürbetal.
Grosse Investitionen in Schutzbauten
Im Nachgang zum Ereignis von 1990 werden 25 Millionen Franken in den Hochwasserschutz an der Gürbe investiert. Die Sperren unterhalb des Kegelhalses werden wieder aufgebaut und viel Ablagerungsraum für Geschiebe geschaffen. Auf eine Reparatur der Sperren oberhalb wird vorerst verzichtet. Danach werden sie aber dennoch saniert.
Die Natur ist stärker
120 massive Wildbachsperren sind im Verlaufe der Jahrhunderte am Oberlauf der Gürbe eingebaut worden – erst aus Holz, dann aus Stahlbeton. Doch obschon die Obere Gürbe mittlerweile einer der am stärksten verbauten Wildbäche ist, machte man immer wieder die Erfahrung, dass die Natur stärker ist. Das letzte Mal im Winter 2018, als sich im Einzugsgebiet «Meierisli» eine grosse Rutschmasse in Bewegung setzt und über mehrere hundert Meter oberhalb des Kegelhalses erneut 15 Sperren zerstört. «Das Ereignis beweist eindrücklich, dass die Sperrtreppen Rutschungen aus den Seitenhängen nicht stabilisieren können und dass diese Betonbauwerke, so massiv sie auch aussehen, nicht ewig halten», sagt Bruno Gerber, der zuständige Wasserbauer vom Oberingenieurkreis II. «Plötzlich war der Umgang mit defekten Sperren nicht mehr eine akademische Diskussion, sondern eine sehr konkrete.»
Flicken oder nicht?
Diese Frage stellen sich auch die Verantwortlichen von Bund und Kanton. Sie kommen zum Schluss, dass es noch vertiefte Kosten-Nutzen-Überlegungen braucht, bevor Millionen in die Reparatur investiert werden. Fachexperten überprüfen in der Folge die Wirksamkeit und die Wirtschaftlichkeit der vorgesehenen Reparaturmassnahmen – und kommen zu interessanten Erkenntnissen: Sie stellen fest, dass das bestehende Schutzsystem mit Massnahmen im steilen Einzugsgebiet und auf dem Kegel zwar sehr robust, aber eigentlich «doppelt genäht» ist: Denn auch ohne Verbauungen im Oberlauf seien keine Ereignisse mit «katastrophalen Auswirkungen» auf dem Kegel und im Unterlauf der Gürbe zu erwarten. Ein vergleichbares Schutzniveau könne auch ohne diese Massnahmen erreicht werden. Dank den massiven Verbauungen, die nach dem Hochwasser 1990 auf dem Kegel erstellt worden seien, könne oberhalb des Kegelhalses auf Massnahmen ohne wesentliche Sicherheitseinbussen verzichtet werden. Berechnungen zeigen, dass so pro Jahr bis zu 1,5 Millionen Franken eingespart werden könnten.
Technische und emotionale Faktoren
«Die Studie zeigt: Wirklich Sinn machen nur die Massnahmen unterhalb des Kegelhalses», folgert Bruno Gerber. «Oberhalb können wir uns auf wenige Schlüsselbauwerke und auf die Sicherung des Wegnetzes konzentrieren.»
Welche Massnahmen nun allerdings realisiert werden, ist noch nicht beschlossene Sache, denn neben den technischen gilt es auch emotionale Faktoren zu berücksichtigen, wie Gerber anfügt: «Lokale Stimmen sehen den Systemwechsel als Sparmassnahme auf Kosten der Sicherheit und empfinden die Vorschläge als Geringschätzung eines Generationenwerks durch ortsunkundige Experten.» Auch wenn die Rutschungen im Jahr 2018 ein Umdenken begünstigt haben: Es braucht noch einige Überzeugungsarbeit, damit der Systemwechsel akzeptiert wird.