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TBAupdate - September 2022

  • Newsletter vom September 2022

Aare Thun – Bern: mehr Schutz für Mensch und Natur

Spätestens seit den Hochwasserereignissen von 1999 und 2005 steht die Aare zwischen Thun und Bern im Fokus des Wasserbaus. Seither ist viel in Bewegung geraten: Einige Wasserbauprojekte sind realisiert, viele befinden sich in Bearbeitung. Eine Übersicht.


Dämme zerfallen, Buhnen werden weggeschwemmt. Viele der teilweise über 100-jährigen Schutzbauten entlang der Aare können ihre Funktion heute nicht mehr erfüllen. Deren Zustand ist ungenügend und über längere Abschnitte sind die Schutzbauten sogar vollständig zerstört. Die Aare gräbt sich vielerorts immer mehr in ihr Bett ein und beschleunigt noch den Verfall der Bauwerke. Nicht nur wird damit das Grundwasser und die Trinkwasserversorgung gefährdet, auch kann die Hochwassersicherheit heute nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden. Der Handlungsbedarf ist dringend. Dass die Dringlichkeit nichts an Aktualität eingebüsst hat, zeigen die Hochwasser vom letzten Sommer. So konnte beispielsweise der Aaredamm bei Belp den Wassermassen nur mit Mühe standhalten. Auch an anderen Orten zeigt sich, dass die alten Schutzbauten immer weiter verfallen.

Kiesen-Jaberg: Von der bisherigen Ufersicherung sind nur noch Reste vorhanden.

Mehr Raum für die Aare

Auf die gravierenden Mängel, welche die Hochwasser vor zwanzig Jahren zutage förderten, reagierte der Kanton damals mit dem Grossprojekt «aarewasser»: Gemeinsam mit den 18 Anliegergemeinden entwickelte das Tiefbauamt ein umfassendes Konzept, wie der Aareraum zwischen Thun und Bern nach den Grundsätzen des modernen Hochwasserschutzes umgestaltet werden könnte. Mehr Raum für die Aare, lautete das Motto. Mit Aufweitungen und Seitenarmen soll dem durch Dämme eingezwängten Fluss an einigen Stellen wieder etwas von seinem ursprünglichen Platz zurückgegeben werden – damit die Aare künftig im Stande ist, auch grosse Wassermassen ohne Schäden abzuleiten.

Vielfältige Naturlandschaft und Schutz des Grundwassers

Das Konzept von «aarewasser» zielte aber nicht nur auf einen wirksameren Hochwasserschutz. Es eröffnete auch die einmalige Chance für eine Renaturierung des Flusslaufs und die Schaffung einer ökologisch vielfältigen und für die Naherholung attraktiven Aarelandschaft. Von einer Verbreiterung versprach man sich auch, dass sich die kanalisierte Aare nicht immer tiefer ins eigene Flussbett gräbt. Die Sohlenerosion führt nämlich nicht nur zu Instabilitäten der Schutzbauten, sondern auch dazu, dass der Grundwasserspiegel sinkt und die Trinkwasserfassungen langsam zu versiegen drohen.

Schützenfahr bei Münsingen: Unterspülte Betonbuhne mit einem betonierten Längsverbau oberhalb der Schützenfahrbrücke (Quelle: Flussbau AG)

Hunzigenau – ein erstes Vorzeigeprojekt

Ein erstes realisiertes Vorzeigeprojekt war 2006 die Hunzigenau bei Rubigen, wo entlang von zwei neu geschaffenen Seitenarmen der Aare eine völlig neue Uferlandschaft entstand. Ein Gebiet, das sich seither bei Aarebesuchenden grösster Beliebtheit erfreut und schweizweite Ausstrahlung hat. Das zeigt sich darin, dass die Hunzigenau als Sujet seit Anfang 2022 die neu erschienene A-Post-Marke ziert. 

Die neue 110er-Briefmarke der Post mit der renaturierten Hunzigenau als Sujet.

Neue Vorgehensweise – Ziele bleiben gleich

«aarewasser» war ein ambitiöses Grossprojekt. Zu ambitiös, wie sich zeigte. Zahlreiche Beschwerden blockierten die Genehmigung des Projekts. 2017 wurde der kantonale Wasserbauplan «aarewasser» abgeschrieben. Der Wasserbau an der Aare zwischen Thun und Bern ist seither wieder in Einzelprojekte aufgeteilt, die unabhängig voneinander und daher flexibler entwickelt werden können. An den Zielsetzungen von «aarewasser» hat sich aber nichts geändert. Nach wie vor orientiert sich jedes Projekt nicht nur am Schutz vor Hochwasser, sondern hat auch zum Ziel, die Trinkwasserreserven zu sichern, Naturlandschaften aufzuwerten und ein attraktives Naherholungsgebiet zu erhalten. «aarewasser» hat ein kohärentes Gesamtkonzept geschaffen, was nun auch den Einzelprojekten zugutekommt.

Die Aare ist bekanntlich ihr eigener Baumeister. Sie verändert die Landschaft, meist gemächlich, manchmal aber auch brachial, wenn sie Hochwasser führt. Wo möglich soll der Aare Raum für eine eigendynamische Entwicklung gegeben werden. Liegen Schutzanliegen vor, ist der Dynamik mit konkreten Massnahmen Grenzen zu setzen.

Es ist viel in Bewegung

19 Wasserbauprojekte im Umfang von insgesamt rund 145 Millionen Franken sollen auf dem besagten Aareabschnitt realisiert werden. Vier davon sind inzwischen umgesetzt: der Wasserbauplan Aare/Gürbemündung (Gemeinden Belp, Kehrsatz und Muri b. Bern), die Instandstellungsprojekte Schützenfahr (Gemeinde Münsingen, 2018), Farhubel (Gemeinde Belp, 2020) und Autobahn A6 Heimberg (2021). Weitere grössere und kleinere Projekte sind in Bearbeitung und folgen in den nächsten Jahren, vgl. Grafik. Als nächstes Projekt wird der Abschnitt Dählhölzli/Eichholz im kommenden Winter 22/23 realisiert.

Der Stand der Wasserbauprojekte an der Aare zwischen Thun und Bern.

Heimberg: Hochwasserschutz zugunsten der Autobahn

Im Gegensatz zum bereits erwähnten Projekt in der Hunzigenau, in welchem eine umfassende Umgestaltung der Landschaft vorgenommen wurde, handelt es sich beim Projekt «Autobahn A6 Heimberg» um ein klassisches Hochwasserschutzprojekt mit «harten» Verbauungen. Weil der Uferverbau immer mehr unterspült wurde, gefährdete das die Autobahn, die dort unmittelbar neben der Aare verläuft. «Zum Schutz der Autobahn waren die Massnahmen dringend und zwingend nötig», sagt Projektleiter Adrian Fahrni. Entsprechend übernahm das Bundesamt für Strassen 80 Prozent der Kosten von insgesamt 1,65 Millionen Franken. Das Projekt wurde im April 2021 abgeschlossen.

Farhubel (linkes Aareufer unterhalb Hunzigenbrücke): Wilde Holzbuhne im Bau
Stimmen zum Wasserbau: Daniel Rindlisbacher, Markus Hänni, Benjamin Bracher

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Im Gespräch: «Die Aare ist enorm vielfältig»

Es gibt die schöne, grüne Aare, in der sich Tausende von Badenden und «Böötler» tummeln. Es gibt aber auch die wilde, bedrohliche Aare, deren Wassermassen Zerstörung bringen. Wie bringt man Schutz- und Nutzungsansprüche unter einen Hut? Adrian Schertenleib vom Bundesamt für Umwelt BAFU und Warin Bertschi vom Oberingenieurkreis II unterhalten sich über die Herausforderungen beim Wasserbau an der Aare.

Herr Schertenleib, Herr Bertschi. Was bedeutet Ihnen die Aare?

Adrian Schertenleib: Die Aare bietet auf kurzer Distanz alles, was ein Fluss überhaupt bieten kann: Wildbäche, Seen, naturnahe Ufer, vielfältige Landschaften, Schutzgebiete, Abschnitte mit intensiver Naherholung, Wasserkraftnutzung und vieles mehr. Auch wenn ich selber nicht an der Aare wohne: Die Begeisterung ist sofort auf mich übergesprungen, seit ich beruflich mit ihr zu tun habe!

Warin Bertschi: Mir geht es genau gleich. Ich erlebe die Aare als ein absolut faszinierendes Gewässer. Persönlich schätze ich die Aare als Bade- und Ausflugsziel und sie beeindruckt mich durch ihre Vielfalt. Wer sich fachlich näher mit der Aare beschäftigt, merkt bald, dass die Sache rasch sehr komplex wird.

 

Was meinen Sie damit?

Bertschi: Vielfalt bedeutet auch vielfältige Ansprüche. Alle haben ihre Interessen, alle ihre Meinung: Behörden, Grundeigentümer, jene, die die Natur schützen wollen, an der Aare spazieren, joggen, bräteln, fischen, velofahren möchten, und jene, die in der Aare baden und auf der Aare «böötlen» wollen. Dazu kommen die vielen Schutzbeschlüsse und gesetzlichen Vorgaben, die sich teilweise widersprechen. Hier allseits akzeptierbare Lösungen zu finden, das ist die Herausforderung und zugleich das Reizvolle für uns Wasserbauer.

 

Gibt es in der Schweiz Flüsse, die mit der Aare vergleichbar sind?

Schertenleib: Punkto Vielfalt ist die Aare herausragend. Klar, es gibt andere Flüsse, in denen man baden kann, die intensiv genutzt werden, wo hohe Anforderungen hinsichtlich Hochwasserschutz oder Ökologie bestehen. Aber was die Aare da auf kleinem Raum bietet, ist einmalig.

Bertschi: Ein typisches Merkmal der Aare ist, dass sie das ganze Jahr hindurch relativ hohe Abflüsse hat. Anders als z. B. an der Rhone, wo der Uferverbau je nach Jahreszeit am Trockenen erfolgen kann, ist an der Aare das Bauen im Wasser der Normalfall.

 

Was sind die Merkmale des nachhaltigen Hochwasserschutzes, so wie er heute propagiert wird?

Schertenleib: Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtungsweise. Der Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser hat weiterhin oberste Priorität und ist im Ereignisfall zentral. Doch in den übrigen Zeiten sollen unsere Gewässer auch anderen Bedürfnissen Rechnung tragen: abwechslungsreiche, aufgeweitete Flusslandschaften, die attraktive Lebensräume für Mensch, Flora und Fauna schaffen und zur sicheren Trinkwasserversorgung beitragen.

Bertschi: Glücklicherweise schliessen sich diese Ansprüche nicht immer aus: Indem wir den Gewässern mehr Raum geben, anstatt sie zu kanalisieren, verbessern wir den Hochwasserschutz und können zugleich einen Mehrwert für Ökologie und Naherholung generieren. Hochwasserschutz und Renaturierung gehen Hand in Hand. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile durchgesetzt.

 

Das Grossprojekt «aarewasser» war als Vorzeigebeispiel für den modernen HWS konzipiert. Jetzt wird der Hochwasserschutz zwischen Thun und Bern in Einzelprojekten weiterverfolgt. Was sind die Vor- und Nachteile?

Bertschi: Die Ziele von «aarewasser» bleiben Richtschnur für alle Einzelprojekte. Dass wir näher auf lokale Situationen eingehen können, erachte ich als Vorteil. Das wird von unseren lokalen Partnern geschätzt. Erleichternd ist sicher auch, dass grossräumige Verknüpfungen wegfallen.

Schertenleib: «aarewasser» war ein Leuchtturmprojekt mit schweizweiter Ausstrahlung. Ich sehe den grossen Nutzen in den umfangreichen Grundlagearbeiten, die geleistet worden sind. Zudem hat die intensive Kommunikationsarbeit viel zur Sensibilisierung der Leute beigetragen. Man hat eine Vision vermittelt, von der die Einzelprojekte jetzt profitieren können.

Bertschi: Ja, wir stossen heute lokal auf eine andere Stimmung als noch vor zehn Jahren. Mit dem Projekt «aarewasser» wurde wertvolle Vorarbeit geleistet. Wir müssen nicht bei Null anfangen.

Schertenleib: Ein weiterer Vorteil der Einzelprojekte ist, dass prioritäre Vorhaben schneller vorankommen.

Bertschi: Das stimmt, aber auch mit dem heutigen Vorgehen sind einzelne Projekte nach wie vor sehr komplex in der Umsetzung. Es gibt einzelne Projekte wie die Belpau, wo eine Umsetzung der Massnahmen dringend wäre, die Lösungsfindung jedoch nach wie vor sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.

 

Seit 2015 obliegt die Wasserbaupflicht an der Aare dem Kanton und nicht mehr den Gemeinden. Was hat sich dadurch verändert?

Bertschi: Aus Sicht des Kantons hat sich der Wechsel bewährt. Wir können systematischer vorgehen und sind effizienter. Die Gesamtschau gewährleistet, dass wir eine einheitliche Linie verfolgen, z. B. in Sachen Ausbaustandard und Unterhalt. Wir haben viel gelernt und dadurch Kompetenz aufbauen können.

 

Sehen das die Gemeinden und Schwellenkorporationen auch so?

Bertschi: Die anfängliche Angst der Gemeinden vor Fremdbestimmung ist heute weitgehend überwunden. Viele sehen es als Chance, von den Erfahrungen des Kantons aus anderen Projekten profitieren zu können. Wenn es um Kostenanteile oder um das Abwägen von Schutzinteressen geht, ist man sich zwar nicht immer einig, aber das liegt in der Natur der Sache.

Schertenleib: Dass der Wasserbau an grossen Fliessgewässern vermehrt in kantonaler Kompetenz erfolgt, ist eine schweizweite Tendenz und liegt im Interesse des Bundes. Wir stellen fest, dass durch die Kantone geführte Grossprojekte dem ganzheitlichen Anspruch besser entsprechen und zielstrebiger vorangetrieben werden.

 

Hochwasserschutz ist eine Verbundaufgabe zwischen Bund, Kanton, Gemeinden und privaten Schwellenkorporationen. Ist diese Aufgabenteilung noch zeitgemäss?

Schertenleib: Ja, denn das Zusammenspiel funktioniert gut. Auch wenn vermehrt die Kantone zuständig sind, heisst das nicht, dass die lokale Ebene an Bedeutung verliert. Deren Vertreter sollen weiterhin ihre Bedürfnisse einbringen können, was umgekehrt auch rechtfertigt, dass sie sich an den Kosten beteiligen.

 

Beim Gewässerunterhalt besteht da im Kanton Bern aus Sicht der Gemeinden offenbar ein gewisses Ungleichgewicht. Der Kanton plant und die Gemeinden müssen zwei Drittel der Kosten tragen …

Schertenleib: Auf Bundesseite arbeiten wir an einer Gesetzesrevision, wonach der Bund zukünftig auch den Gewässerunterhalt finanziell unterstützen will. Wenn das gelänge, im Idealfall ab 2025, gäbe das den Kantonen den Spielraum, die Gemeinden entsprechend zu entlasten. Aus Bundessicht wäre das ein wichtiger Schritt, die Verbundaufgabe nicht nur bei den Projekten, sondern auch im Gewässerunterhalt konsequent zu leben.

 

Adrian Schertenleib, Sie waren, damals noch als Projektleiter beim Kanton, einer der «Geburtshelfer» für die Renaturierung der Hunzigenau bei Rubigen. Verschicken Sie wieder vermehrt Briefe per Post, seit die neue 110er-Briefmarke dieses Sujet trägt?

Schertenleib: Nicht wirklich. Aber es hat mich enorm gefreut, dass die Post die renaturierte Hunzigenau mit der A-Postmarke «geadelt» hat. Es zeigt die Wertschätzung der Öffentlichkeit gegenüber einem Vorzeigebeispiel für modernen Wasserbau.

 

Welche Erkenntnisse aus der Hunzigenau lassen sich auf die übrigen Aare-Projekte übertragen?

Bertschi: Der Kanton hat mit der Aufweitung des Aaregerinnes und der Schaffung von zwei Seitenarmen eine Flussdynamik initiiert, die zeigt, wie sich modellierte Strömungsmuster in der Realität verhalten. Wie weit können wir die Aare als ihr eigener Baumeister arbeiten lassen? Wann müssen wir eingreifen? Welche Verbauungssysteme bewähren sich, welche weniger? Die Hunzigenau ist ein ideales Beobachtungsobjekt.

 

Das Gebiet ist auch zum Paradebeispiel für ein stark frequentiertes Naherholungsgebiet geworden.

Bertschi: Ja, die Hunzigenau zieht enorm viele Leute an. Darüber freuen wir uns. Die Standortgemeinde Rubigen muss aber auch mit den Folgeerscheinungen wie Littering, Parkplatzproblemen und anderen Interessenkonflikten fertig werden. Auch in diesen Punkten können wertvolle Erfahrungen für andere Gebiete abgeleitet werden.

 

Sind sich die Wasserbauer von Bund und Kanton immer einig? Und wer hat eigentlich das letzte Wort?

Bertschi: Das regeln grösstenteils die Gesetze. Wir Wasserbauer sind uns in der Regel schnell einig. Grösser ist Diskussionsbedarf jeweils unter den verschiedenen Fachstellen mit den spezifischen Interessen, sei dies auf kantonaler oder Bundesebene. Im gegenseitigen Austausch lassen sich aber in der Regel immer konstruktive Lösungen finden.

Schertenleib: Aus Sicht des Bundes ist die Zusammenarbeit mit dem Kanton Bern, aber auch mit deren Gemeindevertretungen, sehr gut und konstruktiv. Ich bin beeindruckt, wie viel im Kanton Bern in Sachen Wasserbau läuft und welche Qualität die Projekte haben.

Projektinformation

Die Wende in der Verkehrszählung?

An zehn Standorten testet das Tiefbauamt des Kantons Bern zurzeit Pilotsysteme für eine neue Methode der Verkehrszählung. Im Vergleich zu herkömmlichen Zählsystemen fallen die Pilotsysteme niemandem auf: Es sind kleine Radarsensoren, die in bestehende Strassenleuchten eingebaut werden. Bestätigt sich die Messgenauigkeit dieser Sensoren, könnten Zähldaten in Zukunft ganzjährig und kostengünstiger als bisher erfasst werden.

Nacht für Nacht sorgen Bewegungssensoren an den kantonalen Strassenleuchten dafür, dass sich das Licht der LED-Lampen bei anrollenden Fahrzeugen verstärkt. Sobald der Sensor keine Bewegung mehr registriert, dimmt sich das Licht wieder. Wenn nachts also niemand unterwegs ist, sind die Strassen nur schwach beleuchtet. Man spricht von «Licht nach Bedarf»-Technologie. Das spart viel Energie, vermindert die Lichtverschmutzung und kommt so der Umwelt und vor allem Tieren zugute. Die intelligenten Leuchten sind über Funk miteinander vernetzt und können untereinander kommunizieren. Sie erkennen, wenn sich ein Fahrzeug nähert und entsprechend die Lichtstärke erhöhen. Damit sorgen sie dafür, dass Verkehrsteilnehmende nicht im Dunkeln tappen und die Strasse genau dort beleuchtet wird, wo es nötig ist. Über die Hälfte der insgesamt rund 25 000 Leuchten auf den Berner Kantonsstrassen sind bereits so ausgerüstet – und laufend werden es mehr.

Wenn Strassenleuchten schon so intelligent sind, dass sie ein anrollendes Auto oder Velo feststellen können, könnten sie dann nicht auch gleich zählen, wie viele Fahrzeuge auf der Strasse verkehren? Beim Tiefbauamt des Kantons Bern befasst sich Armin Weingart seit ein paar Jahren genau mit dieser Idee: Verkehrszählungen sollen auch mit den intelligenten LED-Leuchten kombiniert werden.

Weshalb braucht es Verkehrszählungen?

Verkehrszähldaten sind eine wichtige Grösse, wenn es um Verkehrs- und Bauprojekte oder Unterhaltsarbeiten geht. Sie sind der zentrale Indikator für die Belastung, denen die Anwohnerschaft einer Strasse ausgesetzt ist, sei es punkto Lärm-, Luftbelastung oder Sicherheit. Der Kanton will die Verkehrsströme auf seinen Strassen deshalb kennen. Der durchschnittliche Tagesverkehr (DTV) ist die wohl wichtigste Kennzahl hierzu. Sie muss laufend über das gesamte Kantonsstrassennetz erfasst werden. Die Daten von Zählstellen sind insbesonders wichtig, wenn es darum geht, den Verkehrsfluss lokal oder grossräumig zu steuern – so wie das unter dem Begriff «Verkehrsmanagement» vermehrt gemacht wird.

Mobile Zählkasten: Wie aussagekräftig?

Selbstverständlich gibt es bereits seit Jahrzehnten Strassenverkehrszählsysteme. Mit Induktionsschleifen im Strassenbelag oder mobilen Zählkasten werden laufend wichtige Verkehrsdaten erhoben. Zählkasten werden an einem Kandelaber montiert. Sie werden allerdings nur für Kurzzeitmessungen eingesetzt. «Auch diese haben ihre Berechtigungen,» betont Weingart, «Schlechtwetter und Umleitungsverkehre wegen Baustellen oder Unfällen können aber rasch dazu führen, dass diese Messungen den durchschnittlichen Tagesverkehr nicht repräsentieren.»

Ein mobiler Verkehrszählkasten am Strassenrand

Zählschleifen: sehr präzise, aber teuer

Wesentlich präzisere Daten liefern Induktionsschleifen, die in den Belag eingelassen werden. Sie zählen den Verkehr ganzjährig und können zehn verschiedene Arten von Fahrzeugen (z. B. mehrachsige Lastwagen, Lieferwagen, Autos mit und ohne Anhänger) unterscheiden. Dank der Doppelschleife können sie sogar deren Geschwindigkeit und damit den Verkehrsfluss feststellen. Zählschleifen sind allerdings eher teuer, weil sie bauliche Eingriffe erfordern. Und wird die Strasse saniert, gleich nochmals. Deshalb hat man sich im Tiefbauamt des Kantons Bern in den vergangenen Jahren Gedanken zu kosteneffizienteren Varianten gemacht. Das Ziel: Ein neuer Messradar soll sich einfacher installieren lassen und den DTV hinreichend genau zählen.

Neue Lösung: Verkehrszählung mit Strassenleuchten

Die Überlegungen fruchteten und führten zur Idee, den Verkehr mit den intelligenten Strassenleuchten zu zählen. Der neue Radarsensor in den Leuchten kann das Geschehen auf den Kantonsstrassen ganzjährig erfassen und aufzeichnen. Damit wäre ein wichtiges Ziel erreicht.
Im TBA denkt man aber schon weiter. «Grössere Fahrzeuge reflektieren mehr vom Radarsignal als kleinere, und die wiederum mehr als Velos. Und Passanten zu Fuss noch weniger», erklärt Weingart die Technik. «Wie exakt der Radarsensor klassieren kann, wollen wir mit den derzeitigen Tests ermitteln.»
Der kleine Radarsensor wurde vom Tiefbauamt so angepasst, dass er einfach in bestehende Strassenleuchten eingesetzt werden kann. Eines der vier LED-Module wird ausgebaut, um dort das kompatible Sensor-Modul zu integrieren. Für die Weiterleitung der Daten kann das bestehende Funknetz der intelligenten Leuchten mitgenutzt werden. «Die Daten werden direkt an einen Server weitergereicht und können so von den entsprechenden Fachstellen des Tiefbauamts laufend ausgewertet werden.»

Ab 2023 vermehrt im Einsatz

Weingart ist optimistisch, dass mit diesem Radarsensor das Zählstellennetz auf den Berner Kantonsstrassen ab 2023 systematisch verdichtet werden kann. Zusammen mit den Kurzfrist-Messungen der mobilen Zählkästen und den exakten Zählschleifen entsteht so ein effizientes und bezahlbares Gesamtsystem zur Verkehrszählung auf dem verzweigten Kantonsstrassennetz. Mit mehr Flächenabdeckung und deutlich mehr Aussagekraft.

Der Radarsensor hat die Grösse und Form eines LED-Moduls und ist somit mit der im TBA eingesetzten Strassenleuchte kompatibel – der Einbau ist entsprechend einfach.
Die multifunktionale Strassenleuchte: Drei LED-Module fürs Licht und ein eingebauter Radarsensor für die Verkehrszählung.

Projektinformation

Velofahren auf ehemaligem Bahntrassee

Eine Veloroute soll sicherer und ein stillgelegtes Eisenbahngleis umgenutzt werden. Zwischen Büren an der Aare und Rüti bei Büren versuchen das Tiefbauamt und die SBB, diese beiden Begehren zu vereinen. Entstanden ist eine kluge Kombination, die beide Anliegen erfüllt.

Vom Bahnhof Büren an der Aare bis zum Zentrum der Gemeinde Rüti soll ein neuer Veloweg entstehen, der durchgehend von der Hauptstrasse separiert ist. Dass für die Verkehrssicherheit der Velofahrenden etwas getan werden muss, ergab vor zehn Jahren eine lokale Velokorridorstudie des Kantons. In Zusammenarbeit mit den beiden Gemeinden Büren an der Aare und Rüti bei Büren sucht das Tiefbauamt seither nach Lösungen für eine sichere Veloverbindung.

Ein stillgelegtes Bahntrassee als Lösung?

Bald war klar, dass die Kantonsstrasse auf dem betreffenden Abschnitt nur schwer um die notwendigen 2,5 Meter erweiterbar ist. Deshalb suchte das Tiefbauamt zusammen mit den Gemeinden nach Alternativen. Der Zufall wollte es, dass auch andere in diesem Gebiet an Ideen tüftelten: Ungefähr zur gleichen Zeit gab die SBB nämlich bekannt, das alte Gleis zwischen Büren und Rüti umnutzen zu wollen. Die Nostalgiedampflokomotive fuhr schon lange nicht mehr, die Strommasten waren bereits vor einigen Jahren zurückgebaut worden. «Auf dem stillgelegten Streckenabschnitt war ursprünglich ein Biodiversitätsprojekt angedacht», erinnert sich Titus Moser, der im Oberingenieurkreis III kantonale Strassenprojekte plant und umsetzt.

Parallel dazu kam aber auch die Projektidee auf, einen Teil des alten Gleistrassees zu einem Veloweg umzubauen. Da ein altes Gleistrassee nicht gleichzeitig Veloweg und Biodiversitätsprojekt sein kann, suchten die Projektparteien nach einem Kompromiss. «Die SBB benötigt Biodiversitätsflächen, um den Verlust solcher Flächen bei anderen Projekten auszugleichen», erklärt Moser. Deswegen wird die alte Gleisstrecke zwischen Büren bis Rüti mehrheitlich dem Biodiversitätsprojekt der SBB dienen, doch abschnittsweise kann das Gleistrassee auch als zukünftige kantonale Veloroute genutzt werden.

An einigen Stellen sind die Gleise bereits komplett überwachsen.

Die Suche nach dem Kompromiss

Konkret soll die ca. 550 Meter lange Gleisebene vom Bahnhof Büren Richtung Osten für die Fahrradroute umgenutzt werden. Damit lässt sich die Velofahrspur bereits vom Bahnhof aus von der Hauptstrasse abtrennen. Bisher mussten Velofahrende Richtung Rüti bei Büren bis zur Unterführung der Hauptstrasse neben den Autos fahren, bis sie auf den Velo- und Landwirtschaftsweg ausweichen konnten. Dieser Flurweg ist auch in Zukunft als Fahrradroute vorgesehen. Er verläuft ab der Kreuzung Solothurnstrasse/Eisenbahnbrücke parallel zu den stillgelegten Gleisen Richtung Rüti bei Büren. Im Projekt ist vorgesehen, diesen Weg zu sanieren, aber nicht gänzlich neu zu bauen. «Wir überlegen, den Weg teils nur mit Betonspurplatten zu versetzen, damit nicht überall ganzflächig asphaltiert werden muss», erklärt Titus Moser.

Die Abschnitte der neuen Veloroute vom Bahnhof Büren nach Rüti.

Künftig wird der Veloweg für einen halben Kilometer über das asphaltierte Bahntrassee verlaufen, dann auf der Quartierstrasse Erlenweg geführt und schliesslich über die Eisenbahnbrücke auf die bestehende Fahrradroute Richtung Rüti bei Büren einschwenken. Mit dieser Lösung erhalten die Velofahrenden auf der gesamten Strecke zwischen dem Bahnhof Büren und Rüti eine separate Route, müssen sich allerdings den Weg abschnittsweise mit Landwirtschaftsfahrzeugen und Zufussgehenden teilen. «Die Veloroute wird auch, aber nicht nur, für die Schulkinder gebaut», bestätigt Moser. Die beiden Gemeinden planen nämlich, die Kinder aus Rüti bei Büren ab 2024 in Büren an der Aare einzuschulen. «Die Kinder aus Rüti werden dann die neue Veloroute als sicheren Schulweg nutzen können.»

Baustart: im besten Fall 2024

Zurzeit diskutiert das kantonale Tiefbauamt mit der SBB noch über die Eigentums- und Baurechtverhältnisse. Moser hofft, dass es bis Ende Jahr zu einer Einigung kommt. So könnte im Jahr 2023 der Strassenplan öffentlich aufgelegt werden. «Falls es keine Einsprachen gibt, könnten wir im Jahr 2024 mit den Bauarbeiten beginnen.» Titus Moser jedenfalls würde sich freuen, wenn sich diese spezielle Idee von «kombiniertem Verkehr» durchsetzen und das ca. 1,4 Millionen Franken teure Vorhaben zugunsten der Velofahrenden realisieren liesse.

Projektinformation

Verkehrsmanagement Region Bern Nord

Das Projekt «Verkehrsmanagement Region Bern Nord» kommt in die letzte Phase und nimmt ab Oktober den Probebetrieb auf. Die Lichtsignalanlagen, die an den Dorfeingängen den Verkehr dosieren und die Verkehrsinformationsdisplays werden schrittweise eingeschaltet – zuerst im nördlichen Teil dann im südlichen Teil der Region Bern Nord. Bis im Frühling 2023 soll das System im Vollbetrieb laufen. Aktuell werden die Anlagen – nicht sichtbar für die Verkehrsteilnehmenden – eingehend auf ihre Funktionalität getestet.

«Verkehrsmanagement braucht eine Anlaufzeit»

Alain Maradan, Fachstellenleiter Verkehrsmanagement beim Tiefbauamt des Kantons Bern, ist der verantwortliche Projektleiter des Verkehrsmanagements Region Bern Nord. Im Interview erklärt er, wie die Inbetriebnahme abläuft und was das für die Strassenbenützenden bedeutet.

Nähere Informationen: www.be.ch/vm-region-bern-nord

Herr Maradan, ab Oktober startet das Tiefbauamt in Einzelschritten mit dem Probebetrieb des Verkehrsmanagements. Müssen nun alle Pendlerinnen und Pendler damit rechnen, durch ein Rotlicht an der Durchfahrt gehindert zu werden?

Alain Maradan: Nein, das kann höchstens zu den Spitzenzeiten am Abend und am Morgen sowie bei Unfällen oder Störungen auf der Autobahn passieren. Die Ampel der Dosierstelle schaltet nur dann auf Rot, wenn der Verkehrsfluss im Zentrum ins Stocken gerät. Dann werden die Fahrzeuge am Dorfeingang zurückgehalten, damit sie danach flüssig und sicher durch den Dorfkern fahren können. Davon profitieren Verkehrsteilnehmende und Anwohnende gleichermassen. Buspriorisierungen sorgen dafür, dass der ÖV ungehindert passieren und die Anschlüsse auf die S-Bahn gewährleisten kann.

 

Was passiert in den übrigen Zeiten?

Zu allen übrigen Tages- und Nachtzeiten sind die Dosierstellen nicht in Betrieb, die Ampel(n) dunkel und damit die Durchfahrt für alle ungehindert möglich.

 

Müssen Velopendelnde an den Dosierstellen auch warten?

Nein, die Dosierung betrifft lediglich den motorisierten Individualverkehr. Velofahrende können die Anlage jederzeit passieren.

 

Das Konzept der Inbetriebnahme sieht etwas anders aus als ursprünglich angedacht. Warum?

Interne Tests zeigten, dass die komplexe Software des Verkehrssystemrechners am besten in kleineren Etappen optimiert werden kann, mit gezielten Praxistests im Betrieb. Deshalb haben wir uns für eine zeitlich gestaffelte Inbetriebnahme entschieden. Jede Dosierstelle, die wir in Betrieb nehmen, liefert uns Erkenntnisse, die uns eine schrittweise Optimierung des Systems erlauben.

 

In welcher Reihenfolge gehen die Dosierstellen in den Probebetrieb?

Als erstes werden wir die Dosierstelle auf der Kantonsstrasse zwischen Jegenstorf und Urtenen-Schönbühl in Betreib nehmen. Es folgen weitere Dosierstellen im nördlichen Teil der Region, anschliessend jene im südlichen Teil. Auf eine verbindliche Reihenfolge oder fixe Termine bei der Inbetriebnahme einzelner Dosierstellen können und wollen wir uns nicht festlegen. Es ist möglich, dass Anlagen kurzfristig wieder deaktiviert und Steuerungsoptimierungen gemacht werden müssen und daher andere Dosieranlagen vorgezogen werden.

 

Die Software spielt beim Verkehrsmanagement eine zentrale Rolle. Wie ist das Tiefbauamt ein IT-Projekt dieser Grössenordnung angegangen?

Für uns handelt es sich um ein Pilotprojekt. Wir betreten damit Neuland, insbesondere was die Informatik betrifft. Wir haben vorgängig eine Reihe von Tests vorgenommen und gehen bei der Inbetriebnahme schrittweise vor. Das ist für ein System dieser Grösse und Komplexität ein probater Vorgang. Oberstes Ziel ist es, Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmenden möglichst zu vermeiden.

 

«Probebetrieb» tönt danach, dass Sie noch immer mit erheblichen Unwägbarkeiten rechnen.

Ja, da müssen wir ehrlich sein. Ein gewisses Risiko bleibt. Wir dürfen nicht damit rechnen, dass alles von Anfang an reibungslos funktionieren wird. Wir werden noch an einigen Schräubchen drehen müssen, bis sich das System eingespielt hat. Verkehrsmanagement braucht eine Anlaufzeit.

 

Was heisst das für die Verkehrsteilnehmenden?

Dass sie damit rechnen müssen, vielleicht da oder dort einmal an einem Rotlicht oder im Stau hängen zu bleiben, wo sie es bisher noch nicht kannten. Wir geben unser Bestes, werden aber auch auf Verständnis und Geduld der Verkehrsteilnehmenden angewiesen sein.

Die Dosierstelle hält den Verkehr am Ortseingang auf, wenn sich die Autos im Ortszentrum stauen. (Bild: A. Maradan)
Verkehrsinformationstafel mit Testbild auf der Bernstrasse zwischen Hindelbank und Urtenen (Bild: A. Maradan)
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